Diskussion

Vergleichsstudien

Diskussion

Die Spit­zen­ant­wor­ten zu F2 zeigen, dass v.a. die feh­len­de sozia­le Ein­ge­bun­den­heit zur Moti­va­ti­ons­ver­än­de­rung bei den HSG-Stu­die­ren­den führt. Damit zusam­men­hän­gend werden das ein­ge­fro­re­ne Cam­pus­le­ben sowie die gesperr­ten Lern­räum­lich­kei­ten wie Biblio­thek, Lehr- und Arbeits­räu­me vermisst.

Abbil­dung 1: MoDiLe-Studie: Sozia­le Ein­bin­dung im Stu­di­um (Dittrich et. al., 2020, o.S.)
Abbil­dung 2: HSG-Studie: Ele­men­te, die Stu­die­ren­de im FS20 ver­misst haben (Dilger et al., 2020, S. 9)

Diese Ergeb­nis­se unse­rer Befra­gung werden auch in der HSG- sowie MoDiLe-Studie ersicht­lich (Abb. 1&2) und lassen sich mit den Basic Needs ver­knüp­fen. Die sozia­le Ein­ge­bun­den­heit, eines dieser Bedürf­nis­se, macht einen zen­tra­len Aspekt des Gesamt-Öko­sys­tems „Uni­ver­si­tät“ aus und prägt die Stu­die­ren­de. Die Befrie­di­gung sozia­ler Bedürf­nis­se fällt seit Covid-19 gerin­ger aus, was nega­ti­ve Aus­wir­kun­gen auf die Moti­va­ti­on der Stu­die­ren­den hat.

Theo­rie

Basic Needs

Gemäss Deci und Ryan exis­tie­ren nebst bio­lo­gi­schen Antriebs­fak­to­ren grund­le­gen­de psy­cho­lo­gi­sche Bedürf­nis­se, die Basic Needs: Kom­pe­tenz­erle­ben, Auto­no­mie und sozia­le Ein­ge­bun­den­heit. Diese müssen, wie die bio­lo­gisch-phy­sio­lo­gi­schen, hin­rei­chend befrie­digt werden. (Krapp, Geyer & Lewal­ter, 2014, S. 204)

F3 und F4 zeigen, dass v.a. eine inter­ak­ti­ve und abwechs­lungs­rei­che Ver­an­stal­tungs­struk­tur moti­va­ti­ons­för­der­lich ist. Mono­to­nie und reiner Fron­tal­un­ter­richt sollen ver­mie­den werden, um die Moti­va­ti­on der Stu­die­ren­den auf­recht­zu­er­hal­ten. Auch die HSG-Studie zeigt ähn­li­che Ergeb­nis­se, wobei eine gut struk­tu­rier­te, abwechs­lungs­rei­che (i.S.v. Mul­ti­me­dia-Ein­satz) und trans­pa­ren­te Ver­an­stal­tung als moti­va­ti­ons­för­der­lich gilt. Um Mono­to­nie und lange Bild­schirm-Zeiten vor­zu­beu­gen, bieten Grup­pen­ar­bei­ten und kür­ze­rer Fron­tal­un­ter­richt bzw. mehr eigen­stän­di­ge Vor- und Nach­be­rei­tung Abwechslung.

Hier­bei wäre die kon­struk­ti­vis­ti­sche Unter­richts­ge­stal­tung eine mög­li­che Erklä­rungs­grund­la­ge. Die Online-Lehre kann durch den Moda­li­täts­ef­fekt, wonach die Ver­wen­dung von Visua­li­sie­run­gen und gespro­che­nem Text als  moti­va­ti­ons­för­der­lich gilt (Leut­ner et al., 2014, S. 307), abwechs­lungs­reich gestal­tet werden. Die inter­ak­ti­ve Unter­richts­ge­stal­tung würde der feh­len­den sozia­len Ein­ge­bun­den­heit ent­ge­gen­wir­ken, da trotz phy­si­scher Distanz, sozia­le Inter­ak­tio­nen mit den vor­han­de­nen Mit­teln statt­fin­den können.

Theo­rie

Konstruktivismus

Im Kon­struk­ti­vis­mus ver­schiebt sich der Fron­tal­un­ter­richt zu einer akti­ve­ren Teil­nah­me der SuS und einer gestei­ger­ten Auto­no­mie bspw. durch die Ein­bin­dung von Einzel- und Grup­pen­ar­bei­ten. (Seidel & Reiss, 2014, S. 260)

Die Stu­di­en­ergeb­nis­se zeigen in F5‑7, dass die Unter­richts­teil­nah­me seit der Online-Lehre unge­fähr gleich hoch ist wie zuvor, der Prä­senz­un­ter­richt jedoch prä­fe­riert wird. 

Als Haupt­vor­teil der Online-Lehre wird die Fle­xi­bi­li­tät genannt (F8). Wei­te­re Vor­tei­le sind Auf­zeich­nun­gen, Zeit­er­spar­nis­se sowie Auto­no­mie. Die Vor­le­sungs­auf­zeich­nun­gen werden beson­ders geschätzt und von ¾ der Stu­di­en­teil­neh­men­den nach­träg­lich ange­schaut (F10). Dies ermit­tel­te auch die HSG-Studie, wonach die Stu­die­ren­den die Auf­zeich­nun­gen schät­zen und künf­tig bei­be­hal­ten wollen (Abb. 3).

Abbil­dung 3: HSG-Studie: Wunsch nach Bei­be­hal­tung von Auf­zeich­nun­gen (Dilger et al., 2020, S. 53)

Unsere Studie zeigt als Gründe für die posi­ti­ve Reso­nanz den Fle­xi­bi­li­täts­zu­wachs (Auto­no­mie), die Ver­ein­bar­keit mit Berufs­tä­tig­keit sowie die Mög­lich­keit effi­zi­en­te­ren Ler­nens (Kom­pe­tenz­erle­ben). Letz­te­res hat sich durch die Umstel­lung des Vor­le­sungs­be­triebs zwar nicht stark ver­än­dert (F15), trotz­dem wird bei rund 35% der Stu­die­ren­den ein Kom­pe­tenz­zu­wachs verzeichnet.

Der Haupt­nach­teil der Online-Lehre ist die feh­len­de sozia­le Inter­ak­ti­on (F2‑4, 9). Deren Aus­wir­kun­gen zeigen sich in F16, wonach ¾ aller Stu­di­en­teil­neh­men­den ange­ben, wegen man­geln­der sozia­ler Kon­tak­te weni­ger moti­viert zu sein, Vor­le­sun­gen zu besu­chen ( → H2). Ähn­li­che Ergeb­nis­se zeigen auch die Ver­gleichs­stu­di­en (Abb. 1&4; Kind­ler, Kön­ge­ter & Schmid, 2021, S. 33f.; Holzer et. al, 2021, S. 8f.). Weiter hat etwa die Hälfte aller Per­so­nen, welche vor der Pan­de­mie lieber in Grup­pen lern­ten, ange­ge­ben, auf­grund der Pan­de­mie keine Lern­grup­pen mehr gebil­det zu haben (F17). Auch dies hat einen nega­ti­ven Ein­fluss auf ihre intrinsi­sche Motivation.

Abbil­dung 4: HSG-Studie: Ein­schät­zung der Moti­va­ti­on durch SuS (Dilger et al., 2020, S. 7)

Die durch die Online-Lehre gestie­ge­ne Auto­no­mie wird von den Stu­die­ren­den v.a. auf­grund der gewon­ne­nen Fle­xi­bi­li­tät und einer bes­se­ren Berufs­ver­ein­bar­keit geschätzt (F20). Diese Ergeb­nis­se stim­men mit Dilger et al. (2020, S. 12) überein.

Theo­rie

Selbstbestimmungstheorie



Die Selbst­be­stim­mungs­theo­rie defi­niert zwei Moti­va­ti­ons­ar­ten, die intrinsi­sche und extrinsi­sche Moti­va­ti­on. Man geht davon aus, dass Men­schen mit intrinsi­scher Moti­va­ti­on zufrie­de­ner sind als solche, die einer Tätig­keit nur auf­grund extrinsi­scher Moti­va­ti­on folgen, wes­halb sie als erfül­len­der gilt. (lpb bw, 2017, 3)
Quelle Dar­stel­lung: eigene Dar­stel­lung in Anleh­nung an Krapp, Geyer & Lewal­ter, 2014, 204; lpb bw, 2017; Mai, o.D.

Die gestei­ger­te Auto­no­mie kann zu höhe­rer intrinsi­scher Moti­va­ti­on führen. Zudem wird die Auto­no­mie auch wegen dem selbst­re­gu­lier­ten Lernen geschätzt (F20). Holzer et al. (2021, S. 8) haben fest­ge­stellt, dass sich diese Aspek­te i.S. der Selbst­be­stim­mungs­theo­rie posi­tiv auf die intrinsi­sche Moti­va­ti­on aus­wir­ken ( → H1).

Indem die Auto­no­mie und das Kom­pe­tenz­erle­ben gestei­gert, die sozia­le Ein­ge­bun­den­heit aber redu­ziert wurde, beein­flusst die Online-Lehre alle Grund­be­dürf­nis­se. Die Ergeb­nis­se zu F1 zeigen, dass sich die Stu­die­ren­den ins­ge­samt weni­ger moti­viert fühlen. Dies könnte darauf hin­deu­ten, dass die sin­ken­de sozia­le Ein­ge­bun­den­heit den Anstieg von Kom­pe­tenz­erle­ben und Auto­no­mie über­wiegt (F16) und die intrinsi­sche Moti­va­ti­on des­halb sinkt ( → H3).

Es könnte aber auch sein, dass die extrinsi­sche Moti­va­ti­on gesun­ken ist und es des­halb zur Moti­va­ti­ons­ab­nah­me kommt. Die ten­den­zi­ell tie­fe­re Moti­va­ti­on ermit­tel­te auch die HSG-Studie (Abb. 4), welche sich mit einer brei­te­ren Palet­te von Aspek­ten beschäf­tig­te, wes­halb es wahr­schein­lich ist, dass die gesun­ke­ne Moti­va­ti­on auch durch zusätz­li­che Fak­to­ren zu erklä­ren ist.

Schluss­end­lich wird ersicht­lich, dass die intrinsi­sche Moti­va­ti­on der Stu­die­ren­den durch die Online-Lehre, trotz posi­ti­ver Aus­wir­kun­gen des Auto­no­mie- und Kom­pe­tenz­erle­bens­an­stiegs ( → H1), ten­den­zi­ell sinkt. Die feh­len­de sozia­le Inter­ak­ti­on wird des­halb als aus­schlag­ge­ben­der Faktor der Online-Lehre iden­ti­fi­ziert, wes­halb die Moti­va­ti­ons­ent­wick­lung über­wie­gend nega­tiv beein­flusst wird (H2&H3).

Grenzen der Studie

Zukunftsaussichten

Auf­grund des gene­rell stei­gen­den Digi­ta­li­sie­rungs­grad und wei­te­ren Mega­trends (z.B. Fle­xi­bi­li­sie­rung oder New Work) ist anzu­neh­men, dass auch nach der Coro­na­pan­de­mie gewis­se uni­ver­si­tä­re Ver­an­stal­tun­gen online statt­fin­den werden, denn die aktu­el­le Situa­ti­on zeigt, dass Online-Vor­le­sun­gen nicht nur nega­ti­ve Seiten haben.

Unsere Ergeb­nis­se zeigen aber, dass die Online-Lehre Aus­wir­kun­gen auf die intrinsi­sche Moti­va­ti­on der Stu­die­ren­den und damit einen Ein­fluss auf deren Zufrie­den­heit haben kann. Ent­spre­chend müssen Uni­ver­si­tä­ten bei der Pla­nung des künf­ti­gen Uni­ver­si­täts­be­triebs gewis­se Punkte beach­ten. Als opti­ma­le Gestal­tungs­form schla­gen wir vor:

Aller­dings muss beach­tet werden, dass eine zusätz­li­che Pro­ble­ment­schär­fung sin­ken­der Moti­va­ti­on durch Online-Lehre mög­lich ist:

  • aktu­ell: Online-Lehre und zusätz­li­che Ein­schrän­kun­gen (kein „nor­ma­les“ Stu­die­ren­den­le­ben mög­lich bzgl. Freund­schaf­ten pfle­gen, in Aus­gang gehen, etc.) → nega­ti­ve Aus­wir­kung auf Motivation
  • Moti­va­ti­on der Stu­die­ren­den bei Online-Lehre ohne zusätz­li­che Ein­schrän­kun­gen: ver­bleibt mög­li­cher­wei­se auf ursprüng­lich „nor­ma­lem“ Niveau (zusätz­li­che Abklä­run­gen nötig bspw. mit Pilotprojekten)